Mit Struktur gegen Autismus (2014)

Eva Gottesleben (rechts) erläutert die Tecch-Methode

Eva Gottesleben schult in Rumänien die Mitarbeiter der lippischen Hilfsorganisation agape e.V.
Bielefeld/Sercaia. Am Anfang wunderte sie sich, warum einige Seminarteilnehmer so unpünktlich erschienen. „Doch dann habe ich gelernt, dass in Rumänien nicht regelmäßig Linienbusse fahren und die Frauen auf Autostopp angewiesen sind. Und da muss auch erst immer ein Auto vorbei kommen und anhalten“, erzählt Eva Gottesleben und schmunzelt. Für die Bielefelder Diplom-Pädagogin und Autismus-Expertin ist es eine spannende Aufgabe, Mitarbeiter einer Behinderteneinrichtung im rumänischen Sercaia im Umgang mit autistischen Störungen zu schulen.

Die Seminare finden im Kinderdorf Canaan statt – hier hat die ökumenische Initiative agape e.V. aus Bad Salzuflen-Lockhausen eine Heimat für geistig behinderte und benachteiligte Kinder und Jugendliche geschaffen. Der Kontakt zu Eva Gottesleben und Autea, dem gemeinnützigen Institut für Autismus, kam über agape-Geschäftsführer Rüdiger Frodermann zustande. Er hatte 2009 bei den von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel um planerischen Rat bei m Neubau eines Wohnhauses für behinderte Jugendliche und um Unterstützung zum Thema Autismus angefragt. „Und da habe ich gedacht, es ist sinnvoller nicht über die Räume, sondern direkt über die Klienten zu reden“, so Gottesleben resolut. Ihr Arbeitgeber Autea ist eine Tochtergesellschaft der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und dem Sozialwerk St. Georg.

Inzwischen ist Haus Nebo eingeweiht und bezogen und dank eines großzügigen Spenders kann Eva Gottesleben nun die rumänischen Pflegekräfte in Sercaia schulen. „Im vergangenen Jahr hatten wir drei Weiterbildungseinheiten, in diesem Jahr vier und nächstes Jahr noch eine“, erzählt Gottesleben, die gerade aus Rumänien zurück gekehrt ist. „Sie ist eine absolute Fachfrau, die das Ganze mit Herz und Engagement vermittelt“, schwärmt Rüdiger Frodermann. Gearbeitet wird vor Ort ganz konkret an den Geschichten der Klienten. Viele der Bewohner haben zusätzlich zu einer geistigen Behinderung auch autistische Störungen. Häufig haben sie ihre ersten Lebensjahre in Heimen verbracht – ohne Ansprache, manche ans Gitterbett gefesselt.
„Menschen mit autistischen Störungen nehmen aufgrund einer Wahrnehmungsverarbeitungsstörung sich und die Welt anders wahr“, erläutert Gottesleben. „Sie haben vor allem Schwierigkeiten, Bedeutungen und Regeln innerhalb von Kommunikation und sozialem Verhalten zu erkennen. Dies ist vergleichbar mit einer Situation, in der man eines Tages in einem fremden Land aufwacht, in dem das Verhalten der Menschen, ihre sozialen Regeln und ihre Kommunikation unverständlich sind und es keine Möglichkeit gibt, die Wahrnehmungen zu einem sinnhaften Ganzen zusammenzusetzen.

Der daraus resultierende Stress gibt nur annähernd eine Vorstellung davon wieder, was Autismus für jeden Betroffenen bedeuten kann“, versuchte die 49-Jährige mit Hilfe einer Dolmetscherin ihren Seminarteilnehmern am Anfang klar zu machen.
Eva Gottesleben arbeitet nach dem TEACCH-Konzept, ein in Amerika entwickeltes Programm zur Förderung von Menschen mit Autismus, das es ihnen ermöglichen soll, ein Höchstmaß an Selbständigkeit und Lebensqualität zu erreichen. „Als ich am Anfang des Seminars davon sprach, den Heimbewohnern den Zugang zur Küche zu ermöglichen, damit sie sich selbst ein Brot machen können, sah ich nur fassungslose Gesichter“, erinnert sich Gottesleben. So viel Selbständigkeit war in Sercaia bisher neu. Als dann aber ein paar Wochen später Alexandru, der bisher immer von den Mitarbeitern gefüttert werden musste, selbst einen auf der Fensterbank liegenden Apfel griff und hineinbiss, da wurden auch für die Mitarbeiter die Erfolge von TEACCH sichtbar.

Es sei für die Menschen mit autistischen Störungen wichtig, die Strukturen von etwas zu erkennen, Aktivitäten zu gliedern. So wie Starluta, die in der Behindertenwerkstatt an einem Webstuhl arbeitet und nun jedes Mal, wenn sie das Schiffchen auf die andere Seite geworfen hat, ein farbiges Zettelchen abreißt, um den Arbeitsfortschritt auch sichtbar zu machen. Oder Marius, der in der Werkstatt Holzteile geschliffen hatte – und dabei kein Ende sah. „Das bedeutete für ihn Stress, denn er musste die Teile bewerten, um zu entscheiden, wann er fertig ist“, hat Gottesleben mit seiner Betreuerin herausgearbeitet. Seitdem er die fertigen Werkstücke nur noch wegsortieren muss, geht es ihm viel besser. „Und schon sieht man einen entspannten Menschen“, so Gottesleben. Sie freut sich schon wieder auf die nächste Seminareinheit – im September geht es wieder nach Rumänien.

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